Gegen die Bequemlichkeit

Petra Sterry im Gespräch mit Frazer Ward, Professor, Department of Art, Smith College

Petra Sterry (PS): In Ihrem Buch „No Innocent Bystanders“1 untersuchen Sie die Rolle der Performancekunst und insbesondere die Rolle des Publikums genauer. In Ihrer Untersuchung analysieren Sie die verschiedenen Rollen des Publikums, indem Sie sich die Arbeit einiger ausgewählter Performancekünstler genauer ansehen, und es stellt sich heraus, dass es nicht „die“ Rolle für das Publikum gibt. Welche Erwartungen sollten wir also an ein Publikum haben?

Frazer Ward (FW): Ich denke, Kunstwerke prägen die Erwartungen, wie das Publikum reagieren könnte. Am deutlichsten ist das vielleicht bei der Performance-Kunst, wo es ganz bestimmte Anforderungen gibt – sich auf bestimmte Weise zu beteiligen, entweder physisch (Sie müssen hier sitzen) oder affektiv (wenn das Werk zum Beispiel schockieren will) –, aber ich denke, das gilt auch für statische Werke. Kunstwerke können auch einen Standard-Reaktionsmodus voraussetzen (geframt durch institutionelle Konventionen), den sie dann zu durchbrechen versuchen. Allerdings gibt es keine Garantie dafür, dass das Publikum tun wird, was man von ihm verlangt. Ein Beispiel, auf das ich mich in meinem Buch beziehe, war Abramovics Wiederaufführung ihres eigenen Werks Thomas‘ Lips im Guggenheim im Jahr 2005. Als Abramovic mit einer Rasierklinge die Form eines Sterns in ihren Bauch schnitt, rief eine junge Frau, die hörbar erschrocken war: „Sie müssen das nicht tun“. Während die ursprüngliche Performance von 1975 (die einen politischen Kontext in Bezug auf das damalige Jugoslawien hatte) möglicherweise eine ethische Testzone geschaffen hatte, die die Erwartungen der Zuschauer und Zuschauerinnen an das, was im Namen der Kunst akzeptabel war, herausforderte, war 2005 sogar dieser Effekt zum Spektakel geworden. Die Intervention der jungen Frau kann also als Protest gegen die Art und Weise verstanden werden, in der die Wiederaufführung das Original entleert und ein Publikum voraussetzt, das das Spektakel aus der Ferne betrachtet.

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Das Gespräch wurde im August 2020 per E-mail geführt.

1 Frazer Ward, No Innocent Bystanders: Performance Art and Audience, DARTMOUTH COLLEGE PR, 2012
2 „Damenmord“, Junge Szene Wien ’87, Secession, Wien (1987)
3 „Damenmord“, Das Wiener Sommersymposium, Wien (1987), Ort der Performance, Moulin Rouge, Wien