Christa Steinle

Das Märchen von Prinzessin Dunkelschön als sprachkonzeptuelle Strategie von Petra Sterry

Ein Märchen in drei Textblöcken auf einen Vorhang geschrieben, das könnte als Pleonasmus interpretiert werden. Denn Vorhang und Märchen haben eine gemeinsame morphologische Struktur. Vorhang wie Märchen verbergen und verdecken etwas. Petra Sterry beschäftigt sich mit der “Morphologie des Märchens” (Vladimir Propp)1. Sie erkannte, dass Märchen Erzählungen sind, die aus gleichen oder ähnlichen Elementen immer wieder aufs Neue geknüpft werden. Märchen sind etwas Lebendiges, sie erzählen vom Leben, sind eine postmoderne Literatur avant la lettre, denn sie leben von einer Aura des Ambivalenten. Sie zeigen nur, was sie sagen, doch in der Erzählung selbst ist mehr verborgen als sie sagt, sie bewahrt ihr Geheimnis. Märchen sind der Spiegel der Gesellschaft, ein dunkler Spiegel, an manchen Stellen blind, daher rührt die Faszination der Märchen, aber auch die Angst davor. Im Märchen lernt das Kind versteckte soziale Mechanismen kennen. Das Kind liest von sozialen Hierarchien, sozialen Klassen, von Armen und Reichen, von Schönen und Häßlichen, von Guten und Bösen, von Namen und Namenlosen, von Verboten und Gesetzen. Im Übersinnlichen, im Surrealen und im Irrealen kommt der eigentliche Sinn des Märchens zum Vorschein, nämlich darauf zu verweisen, was sich hinter dem Vorhang verbirgt. Petra Sterry erzählt scheinbar ein neues Märchen, doch die Elemente sind bekannt. Der See, der Wald, der Spiegel, der König, die Prinzessin, der Zwerg mit dem Namen “Rumpelstilzchen”. Sie schlägt in der unendlichen Geschichte des Märchens ein neues Kapitel auf. Ähnlich wie Paul McCarthy und Mike Kelley in ihrer Interpretation von “Heidi” zeigt auch Sterrys Interpretation die dunkle Seite der Märchen. Unheil nicht Heil wartet am Ende ihrer Geschichte von Prinzessin Dunkelschön, die sich im Wald erhängt, sodaß der jedes Märchen hoffnungsvoll abschließende Satz “Und wenn sie nicht gestorben sind…” abrupt und brutal eliminiert wird.

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1 Vladimir Propp, Morphologie des Märchens (1928), Suhrkamp, Frankfurt/Main 1975.
2 Peter Handke, Kaspar, Suhrkamp, Frankfurt/Main 1970; Das Spiel vom Fragen, Suhrkamp, Frankfurt/Main 1989.