Monika Faber

Schneewittchen und die sieben Schlangen

Der Prinz und die Königin, das Männlein im dunklen Wald – ein angebissener Apfel, zeitlos-bekannte Gestalten und Versatzstücke unserer Märchenwelt irrlichtern durch Petra Sterrys Textbilder und Zeichnungen. Mal können wir es anscheinend ganz konkret fassen, das – nie tatsächlich genannte Rumpelstilzchen – „in einem dunklen Garten“, mal bleibt die Assoziation recht vage, wie beim „cronprinz algo“, dessen wahre (Namens-)Herkunft aus einem obskuren halb wissenschaftlichen, halb pornografischen Bändchen nicht wirklich wesentlich ist: Auch ohne dieses Wissen schwimmt die Leserin schon in einem weit offenen Assoziations-Meer.

Doch mit jedem Hinweis, den die Künstlerin auf diese aus Ebenen der Kindheitserinnerungen herübergeretteten Motive gibt, führt sie uns zugleich ein Stück in die Irre, verwirrt und vermischt geschickt Spuren verschiedener Handlungsstränge – was macht Rumpelstilzchen mit dem Apfel? Und war es nicht ein Bäumchen, das sich schüttelte? „Prinzessin Dunkelschön“ – so zart wie jene auf der Erbse, mit nur einem Schuh wie das Aschenputtel, mit verbundenen Augen, also schlafend wie Dornröschen??? – sehen wir von einer Schlange bedroht: Hier wird gleich eines der eingängigsten christlichen allegorischen Bilder (dem ursprünglichen Sinn widersprechend) zitiert und mit einer Grimm’schen Figur verknüpft, aber damit nicht genug: Die phallische Form der Schlange lässt gleich wieder weitere Assoziationen aufkommen.

Besonders in den großen Schriftbildern von Petra Sterry wird deutlich, dass sie mit der Sprache im doppelten Sinn visuell umgeht: Einerseits werden die Buchstaben zu grafischen Elementen, die die Fläche in einem bestimmten Rhythmus gliedern, andererseits evozieren die Worte/Buchstabengruppen in der von Sterry angewandten Orthografie Ketten von Gedankenverbindungen, die von einer Assoziation zur nächsten, von einem (Bild-)Element zum nächsten führen – und wieder zurück.

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