Rainer Metzger
Kind und Tod
Anmerkungen zur künstlerischen Arbeit von Petra Sterry
Der Körper hat Konjunktur in der Gegenwart. Ja, er wird geradezu zelebriert. Man tätowiert ihn und pierct an ihm herum, man traktiert ihn mit Diäten und nimmt kosmetische Korrekturen an ihm vor, man umhüllt ihn auf das Raffinierteste und legt ihn frei auf das Eindeutigste. Der Körper ist das Experimentierfeld für jene Mentalität, die die Postmoderne vielleicht am gründlichsten charakterisiert: Der Körper wird aufgeladen mit Theatralik. Auftritt ist alles und das Unkonventionelle, Transgressive und Konstruktivistische sein Medium. Zölibat gilt als ultimative Perversion, Geschlechtsumwandlung dagegen ist eine souveräne Geste freien Willens. Der Körper wird theatralisiert, und damit wird er kulturalisiert. Er ist Zeichen und Zeichenträger, bis in die kleinste Pore hinein geprägt von Signifikanz.
Mehr lesen / Read more ...Der Körper hat auch Konjunktur im Werk von Petra Sterry. Anders aber als die Moden, die den Körper einwattieren in Fitness-Aktivitäten und Transgender-Rollen, Schönheits-Kulte und die diversen Momentanitäten permanenter Austauschbarkeit, hat Petra Sterrys Oeuvre gerade die Unhintergehbarkeit im Auge. Die Moden wollen den Körper selbst zur Spielwiese der Trends machen, wollen demonstrieren, dass er veränderbar ist und multipel; von Nasenlänge bis primärem Geschlechtsorgan: nichts ist notwendigerweise so, wie es einmal in der Welt erschien; alles ist kontingent. Und doch gibt es in diesem großen Pool an Versicherungen eines „Du kannst es, denn du willst es” Angelegenheiten, an denen die Kontingenzen abprallen. Bei ihnen herrscht strikte Notwendigkeit. Die eine besteht in der absolut triftigen, gewissermaßen garantierten Gewissheit, sterben zu müssen. Die andere wird reziprok wirksam, und sie lässt sich greifen in der Erfahrung, dass man selbst Notwendigkeit verkörpert. Diese Erfahrung stellt sich ein, wenn man Kinder hat.
Petra Sterrys Arbeit ist dem Skandalon des Unveränderbaren gewidmet. Das macht ihren Umgang mit der Andersheit, und eben diese jederzeit gegebene Möglichkeit, dass etwas genauso gut auch anders sein kann, meint der Begriff Kontingenz, so anders. Der Körper steht im Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzungen; so gesehen ist ihr Werk modisch. Doch ist der Körper bei Petra Sterry nicht Vehikel von Verfügungen, sondern eine Erscheinung auf fester Bahn; so gesehen ist ihr Werk altmodisch. Es gibt, um eine ihrer Sprachakrobatiken aufzugreifen, ein Ziel, und dieses „Ziel” lässt sich als „ciel” apostrophieren, französisch der Himmel, anthropologisch das Ende aller Zeit. Das Dasein ist ein Sein zum Tode.
Sein zum Tode heißt nicht „Morbus Vivendi”, aber in einer künstlerischen Haltung, in der der Modus Vivendi zum „Mortus Vivendi” wird, lässt sich auch diese Saite zum klingen bringen. „Mortus Vivendi” deutet auf Mors und auf mortuus hin, auf Tod und tot, auf den nackten Gleichklang der Phänomene, die allfällig sind und im Werk von Petra Sterry allgegenwärtig werden. „Mortus Vivendi” liest sich in einer ihrer Textarbeiten, es bietet sich dar als Titel über einem Brunnen in Sargform, und es ist der kleinste gemeinsame Nenner für all die Vielfältigkeiten, in denen sich dieses Oeuvre zwischen Publikation und Fotografie, Malerei und Schriftbild artikuliert. Der Tod als Pars pro toto, er ist Mors pro toto.
Am Anfang war das Wortspiel, heißt es bei Samuel Beckett. In the beginning was the pun. Gern hat man die Assoziationsträchtigkeit von Petra Sterrys Umgang mit Texten herausgestellt, das Jonglieren mit den Silben und die Sprünge von einer Nationalsprache in die andere. Und doch sind diese Arbeiten alles andere als vieldeutig; im Gegenteil, sie laufen hinaus auf die eine große Erfahrung, in der alles Polyglotte in sich zusammenfällt. Diese Arbeiten sind nicht polysemisch; es gibt in ihnen dafür eine Qualität der Entsemantisiertheit. Die Vielfalt an Sinn steuert zu auf die Einfalt des Unhintergehbaren. „dianxtis profunde/lemendo vinie”: Die Angst sitzt in der Tat tief, und sie ist, angereichert mit einem Klagelaut, lähmend wie nie. Umkreist wird der Tod. Der Tod und seine Spießgesellen, die Gewalt, die Angst, das Prinzip Täter und Opfer.
Dazu bedarf es einer Perspektive, und hier kommt die zweite Instanz ins Spiel, an der sich Notwendigkeit greifen lässt. Ist der Tod die Ultima Ratio, so das Kind die Persona Gratissima. In der Begegnung des objektiv Unausweichlichen mit dem subjektiv Ausweglosen entsteht auch die Beklemmung, die in Petra Sterrys Arbeiten den Subtext abgibt, gerade wenn vermeintlich nichts da ist auf den Bildern, was sein Unwesen treiben könnte. Es ist ein kindlicher Blick, der erfasst wird und seinerseits erfasst, was möglicherweise auf der Lauer liegt. Kinder haben weniger Erfahrung mit dem Leben und also weniger Alternativen, seinen Fährnissen zu begegnen. Wer weniger Alternativen hat, sieht das, was kommt, im Licht der Notwendigkeit.
Die Märchen, die Petra Sterry erzählt, geben einer solchen Perspektive statt: Das Fürchterlichste wird zum Normalen, wenn es keine Norm gibt, an der sich erst die Abweichung entzündet. Es gibt keine Norm, denn alles erscheint völlig selbstverständlich. Es erscheint notwendig. Die Anpassung von Erzählerperspektiven an eine Vorstellung von Volkstümlichkeit, wie sie speziell die Romantik leistete, geschah nicht zuletzt als Reaktion auf eine Welt, die zusehends als kontingent erfahren wurde. Märchen stellen nicht in Frage. Was phantastisch anmutet, wird für bare Münze genommen.
Der große Vereindeutiger Tod trifft auf eine Disposition zur Eindeutigkeit, wie sie Kindern eigen ist. In dieser Konstellation liegt die Gefahr der Tautologie, einer Geschwätzigkeit über die letzten Dinge und es bedarf durchaus gewisser Gegenstrategien, um nicht im Opferkult zu versanden. Petra Sterry hat es bis dato ausgezeichnet verstanden, die Viktimismus-Anwandlungen zu vermeiden.
Zum einen hat sie es verstanden durch einen Hang zur Ironie. Die Wortspiele sind natürlich perfekte Antidote gegen alle Allüren der Betroffenheit. Ebenfalls zum Einsatz kommen absurde, surrealistisch anmutende Kombinationen von Gegenständen und Motiven, etwa wenn für das Abendkleid aus Plastik ein Halsschmuck die Kollektion vervollständigt, der als Galgenstrick gestaltet ist, oder sich ein Aquarium präsentiert, das in Sargform prangt
Zum anderen zieht sich eine ganz eigene Lapidarität durch die Arbeiten. Die Kunst hat es von jeher verstanden, die Kontingenz, der sie selbst unterliegt, mit dem Argument der Evidenz unschädlich zu machen. Der Verdacht, dass etwas genauso gut anders sein könnte, ließ sich dementieren in der souveränen Darbietung, in der selbstbewussten Demonstration des Sic!. Genauso funktionieren etwa Petra Sterrys Leinwandbilder. Konturen nur werden angeboten, doch dass es Kleidungsstücke sind, was gemeint ist, und mit den Kleidungsstücken Fundstücke und mit den Fundstücken eine Leere und mit der Leere das Fehlen von Personen und mit den fehlenden Personen die Ursache für ihr Fehlen und mit dieser Ursache Gewalt und Tod, liefert sich als Assoziationskette unverzüglich mit. Weniger hätte es nicht sein dürfen, um diese Assoziationskette zu knüpfen. Mehr aber auch nicht.
Schließlich gibt es in dieser Arbeit eine Qualität, die heutzutage eher selten anzutreffen ist. Man könnte sie Narzissmus-Resistenz nennen. Ihr Gegenbild besteht in der wahrlich ubiquitären, exuberanten, mit dem Prinzip der Theatralik korrespondierenden Neigung, alles und jedes auf sich selbst zu beziehen. Die Welt ist für die eigene Person da, so ist man überzeugt, und ob man nun eher liberal eingestellt ist und die Umstände in Hinblick auf ihre Freiwilligkeit oder sich zukurzgekommen fühlt und die Umstände in Hinblick auf ihre Unfreiwilligkeit wahrnimmt, ist dabei sekundär. Petra Sterry jedenfalls bezieht in ihrer Auseinandersetzung mit jenen Unhintergehbarkeiten, an deren Spitze der Tod steht, Unhintergehbarkeiten, die man nun wirklich auf sich selbst zu beziehen hat, weil sie einen buchstäblich ins Mark treffen, eine bemerkenswerte Distanz.
Wenn sie es denn über sich bringt, den Tod zum Thema zu machen, dann nimmt die konventionelle, momentan als gang und gäbe konstatierbare Kunst dafür Blut und Hoden, sie nimmt Vagina etcetera. Sie nimmt die ganz besonders eigenen Dinge. Petra Sterry dagegen nimmt fremde Dinge. Sie bedient sich Formen der Hermetik, etwa im jüngst entstandenen Film „Ich, Soldat”; sie setzt auf Narration; sie weiß um die Rituale und Institutionen. Der Tod ist eine Menschheitssache, und es sind im Lauf der Jahrtausende genügend Traditionen entwickelt worden, sich mit ihm ins Benehmen zu setzen. Es gibt Konventionen dafür, und genau auf Konventionen greift Petra Sterry zurück. In einem Zeitalter der Verwegenheiten und Transgressionen garantiert gerade ein solcher Rückgriff Petra Sterry die Unkonventionalität.